Weiterhin steigende Netzzeitabweichung

Die Uhrzeit hat sich weiterhin nicht „erholt“. Als ich am 28. Februar 2018 darüber berichtet habe, lag die Abweichung der Netzzeit bei -280 Sekunden. Derzeit sind es -360 Sekunden. Es sind also noch einmal 80 Sekunden dazu gekommen.

Netzzeit 01.03.-13.03.2018

Netzzeit 01.03.-13.03.2018

Aufklärung durch ENTSO-E

Am 06. März 2018 veröffentlichten die ENTSO-E und Swissgrid Pressemitteilungen, dass der Fehler in Serbien und Kosovo lokalisiert ist. Zu dem Zeitpunkt lag die Abweichung bei ungefähr -345 Sekunden. In einer weiteren Pressemitteilung vom 08. März 2018 hiess es, dass die Frequenzabweichung gestoppt wurde und als nächstes Maßnahmen ergriffen werden, um die Netzzeit wieder an die Weltzeit anzugleichen. An diesen Tagen hielt sich die Netzfrequenz relativ stabil bei -345s. Mittlerweile ist aber wieder ein Abwärtstrend zu beobachten und das Problem ist offensichtlich nicht behoben.

Schwankungen in der Netzfrequenz/der Netzzeit

Die Netzfrequenz darf leicht schwanken – und muss es auch, damit die Regelungstechnik arbeiten kann. In welchen Grenzen sich die Werte dabei bewegen dürfen, ist genau festgelegt und kann hier mit dem aktuellen Frequenzwert verglichen werden. Dabei ist es auch normal, dass die Uhrzeit mal ein bisschen vor- oder nach geht. Hier liegt die Grenze aber bei +/- 20 Sekunden und wird dann durch eine Sollwertveränderung der Netzfrequenz um +/- 10mHz wieder angeglichen.

Angleichung der Netzzeit an die Weltzeit

Dass die Netzzeit an die Weltzeit angeglichen wird, hat verschiedene Gründe.
Zum einen natürlich die Synchronuhren, von deren Abweichung gerade über 400 Millionen Menschen betroffen sind.
Zum anderen wird aber auch aus abrechnungsrelevanten Gründen von einem stabilen Mittelwert ausgegangen. Bei einer Abweichung nach unten hat jemand zu wenig Energie eingespeist bzw. zu viel entnommen und nicht durch Einkauf der benötigten Energiemenge seine Bilanz ausgeglichen. Auch bei der Bereitstellung von Primärregelenergie wird von einer ausgeglichenen Bilanz ausgegangen. Da sich die Abweichungen in positive und negative Richtung für die Anbieter ausgleichen, wird für diese Energiemengen kein Arbeitspreis vergütet. Im jetzigen Fall muss aber wesentlich mehr positive Regelenergie bereit gestellt werden, was auch einen finanziellen Einsatz für die Anbieter bedeutet, der (bisher) nicht ausgeglichen wurde.

Warum sind so viele betroffen?

Die meisten Länder in Europa gehören zu einem großen Verbundnetz. Das hat den Vorteil, dass das Energienetz dadurch extrem zuverlässig und stabil ist und Angebot und Nachfrage einfacher ausgeglichen werden können. Da das Netz überall synchron läuft, ist auch überall die Netzfrequenz gleich. Sinkt die Netzfrequenz in einem Bereich (z.B. durch einen Erzeugungsausfall), dann sinkt sie auch woanders und wird von dem dortigen Bereich gestützt damit sie nicht weiter fällt. Der Ausfall eines Kraftwerkes würde kaum ins Gewicht fallen und kann von den vielen anderen Kraftwerken einfach kompensiert werden. Die Netzfrequenz wird als gemeinsame Kenngröße für die Regelung des Gesamtstromnetzes genutzt.

Warum nicht einfach „Reset“ der Netzzeit auf 0?

Für den „Normalverbraucher“ wäre das sicherlich die naheliegenste Lösung. Man stellt die Uhren wieder auf die korrekte Zeit und alles ist gut für diese Gruppe. Wird die Zeit wieder angeglichen, wird man die nächsten Wochen die Uhren öfter korrigeren müssen.
Es sind allerdings nicht alle Uhren so leicht einzustellen. Teilweise muss dieses durch Techniker erledigt werden, was einen finanziellen Aufwand bedeutet.
Und dann wurde diese Energie auch von jemanden verbraucht, ohne dass dafür bezahlt wurde. Es könnten zwar die Kosten für die fehlende Energiemenge beziffert werden, aber die Rechnung kann von keiner einzelnen Institution gestellt werden, da viele betroffen sind.
Ausserdem hat diese Abweichung auch eine politische Komponente, was die Zusammenarbeit in der Gemeinschaft betrifft. Eine Gemeinschaft funktioniert nur so lange, wie sich alle an die Regeln halten. Nutzt jemand die Gutmütigkeit der anderen aus, folgt schnell der Nächste. Deswegen muss hier auf einen Ausgleich gedrängt werden. Die fehlenden 113GWh wurden schließlich entnommen und verbraucht und müssen finanziell ausgeglichen werden. Ansonsten kann man hier getrost das Wort „Stromdiebstahl“ verwenden.

Aktuelle Situation

In den letzten 48 Stunden lag der Mittelwert der Netzfrequenz bei ca. 49,999Hz, also 1mHz unter dem Sollwert von 50Hz, was ungefähr eine dauerhaft fehlende Energieeinspeisung von 18MW bedeutet.

Netzfrequenz in den letzten 48 Stunden

Netzfrequenz in den letzten 48 Stunden (eigene Darstellung unaufbereiteter Werte meiner Messgeräte)

Die Abweichung der Netzzeit hat in diesem Zeitraum um weitere 5 Sekunden zugenommen. Diese dauerhaft fehlende Menge von 18MW könnte zum Beispiel von einem Windenergiepark mit 6-7 unter Vollast laufenden Windenergieanlagen erzeugt werden. Zu anderen Zeiten könnte man diese Werte als normal hinnehmen. Allerdings zeigt es, dass das derzeitige Problem noch nicht endgültig gelöst ist und weiterhin jemand seinen Bilanzkreis nicht ausgleicht. Zudem ist die Sollfrequenz derzeit nicht auf 50Hz, sondern auf 50,01Hz festgelegt. Das bedeutet, dass die Abweichung nicht 1mHz beträgt, sondern 11mHz – und schon beträgt die Fehlmenge an Energie dauerhaft ungefähr 200MW. Der am 06. März genannte Fehlbetrag von 113GWh wächst also immer weiter an.